Auszug aus Aufsatz

Auszug aus dem Aufsatz: Prora- „doppeltes Trauma“ für Zeitzeugen im Kampf ums Erinnern, 1. Quartal 2010, dort auch die Quellenangaben.

Die „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ (Berlin), in deren Räumen ich mit Jochen Schmidt eine wenig befriedigende Aussprache hatte, schickt uns einen ablehnenden Bescheid bezüglich unserer Erinnerungstafel. Kritisiert wird unter anderem, es sei die Zustimmung der zuständigen Einrichtungen und Behörden zur Anbringung dieser Tafel nicht vorgelegt worden. Eindeutig stellt sich die Stiftung auf die Seite unseres Gegenübers, indem sie auf die angeblich in Gang gekommenen Erinnerungsinitiativen verweist: 

„Aus Sicht der Bundesstiftung Aufarbeitung ist es nicht zweckdienlich, im Vorfeld einer noch zu erarbeitenden Gesamtkonzeption durch das Anbringen einer Gedenktafel bereits vollendete Tatsachen zu schaffen und damit der Gesamtkonzeption über die Ausgestaltung des historischen Ortes vorzugreifen. Im Rahmen der endgütigen Gesamtkonzeption wäre die Förderung einer Gedenktafel (…) jedoch durchaus denkbar…“

Auf eine Gesamtkonzeption zur Geschichte unter Einbeziehung der Historie des SED-Staates warten wir allerdings seit Jahren. Sie gibt es vermutlich nicht mal auf dem Papier – und wenn es sie gäbe: Wäre es nicht ein feiner Zug, uns über sie zu unterrichten? 
Am 17. Dezember 2009, exakt eine Woche nach dem Workshop, überrumpelt uns diese Erinnerungskultur, die uns Dokumentationstätigkeiten im Block V untersagt hat, und, wie sich zeigen wird, eine Erinnerungstafel für überflüssig hält, mit den Abbrucharbeiten. Dabei hat Minister Tesch auf unseren Einspruch bezüglich der widersprüchlichen Bescheide aus den Denkmalämtern noch immer nicht reagiert.
Ein großes Bauschild ziert die einstigen Kaserne, aus deren Zeit nichts schützenswert ist: „Umbau des ehemaligen KdF-Bades“. Wie notwendig wäre es gewesen, mit ehemaligen Vorgesetzten, die sich dazu bereit erklärt hatten, jene Räume zu dokumentieren, über die bekanntlich nichts wissenschaftlich aufgearbeitet ist, in denen Akten und Unterlagen en masse entsorgt wurden, und über die im Virtuellen Museum durch den ehemaligen Major Lothar Kühne jetzt bekannt wird:

„Ich hatte bereits erwähnt, dass die in unserem Bereich tätige Diensteinheit der ‚Verwaltung 2000’ relativ umfangreich war. Immerhin bestand sie aus bis zu fünf ständig im PiBB anwesenden Offizieren. Ihre Dienstzimmer befanden sich, abgegrenzt und zusätzlich mit Gittertüren gesichert, zwischen dem Stabsbereich und dem Flur, auf dem sich u.a. die Schneiderei, die Poststelle, die Bibliothek und auch der Traditionsraum befanden. Ihre Informationen erlangten die Mitarbeiter des MfS auf die unterschiedlichste Weise und ebenso variantenreich war ihr Einwirken auf allgemeine militärische Belange. Nur einige Beispiele: Bereits bei der Aufstellung der Einheiten wurden die Listen der personellen Zusammenstellung der Züge und Kompanien bis hin zu den Zimmerbelegungen mit ihnen abgestimmt. Es kam auch vor, dass so kurzfristig Veränderungen veranlasst wurden. Die Vorgesetzten der Baukompanien (unabhängig von ihrer Dienststellung) wurden regelmäßig befragt. Einzelne Bausoldaten wurden zu Gesprächen in die Bibliothek ‚gebeten’ oder bis zur Gittertür im vorletzten Treppenhaus geführt. Regelmäßig erhielten diese Mitarbeiter auch regionale kirchliche Presseerzeugnisse und Publikationen…“

Wo befanden sich exakt diese Räume? Erst jetzt sind hunderte Aktenstücke in der BSTU Rostock aufgetaucht, nachdem Tobias Bemmann einen Forschungsantrag gestellt hatte. Lange genug hat sich die Behörde mit der Sichtung der Akten Zeit gelassen, deren Auswertung man allem Anschein nach nur ungern unserem Vereinsmitglied allein überlässt.
Bei den überraschend einsetzenden Abbrucharbeiten setzt die Landrätin und Vorsitzende des
Prora-Zentrums, die uns die Dokumentation der Räumlichkeiten untersagt hat, selbst den Presslufthammer an. Wir rätseln, welche Räume da bearbeitet werden. Die Bausoldatenunterkünfte – oder der Stabs-/Stasitrakt? Eine kleine Genugtuung: Die Schweriner Volkszeitung druckt ein Interview über die unrechte Erinnerungskultur, die die Jugendherberge mit einem Geburtsfehler entstehen lässt und in der die Verantwortlichen zu Tätern an der Geschichte werden.
In der Tat: Es ist nicht nur ein Vergehen an der Geschichte dieses Ortes. Die Entsorgung ohne Aufarbeitung und Dokumentation ist ein moralisches Unrecht all jenen gegenüber, die den Bruch Prora in ihrer Biografie nicht unbeschadet überstanden haben. Und vielleicht auch gegenüber der Nachwelt, die sich einmal mit der wahren Geschichte des Geländes auseinandersetzen möchte. Das neue Jahr startet mit einem Widerspruch gegen den Bescheid aus der Unteren Denkmalbehörde. Er wird abgewiesen.
Weil sich aufgrund des „Workshops“ abzeichnet, wer auf dem Gelände künftig das Sagen haben wird und unser Verein im Gegensatz zum Prora-Zentrum e.V. nicht mit Unterstützung aus den Landesbehörden rechnen darf, fordern wir die Landrätin auf, künftig mit uns zu kooperieren.
Im Februar finde ich zwei Schreiben im Briefkasten unserer Geschäftsstelle: eines von Rügens Landrätin Kerstin Kassner und eines von Prof. Pfüller (Politisches Memoriale). Beide
Briefe sind mit demselben Füller bzw. mit derselben Tinte unterzeichnet. Zufall oder Absicht? Gibt es im Land Mecklenburg-Vorpommern eine Verwaltungseinheitstinte?
Landrätin Kerstin Kassner bedankt sich für unsere angebotene Kooperation bei der Projektierung und konzeptionellen Ausformung des zukünftigen Bildungszentrums Prora, in der etwas zynisch klingenden „Freude“, dass wir „trotz mancher Schwierigkeiten den Mut nicht sinken lassen“, die Geschichte der Bausoldaten museal aufarbeiten zu wollen
.

„…Es ist schön, dass über das Bildungszentrum Prora die Aussicht besteht, den vielen historischen und kulturellen Initiativen eine Heimstatt zu geben und ich freue mich, dass auch Sie sich einbringen wollen. Wann auch immer die Bildungsstätte Realität wird, welchen Namen sie bekommt und wer sie leiten wird, ich kann Ihnen versichern, dass Denk-MAL-Prora e.V. und die Spatensoldaten dort ihren Platz haben werden. Die Realien, das heißt, der Klubraum, das Tor und andere Ausstattungsstücke sind gesichert worden. Die Teile sind vor Feuchtigkeit geschützt.“ 

Wir möchten es so gern glauben und verkünden diese positiven Nachrichten auf unserer Homepage. Die freudigen Reaktionen darauf zeigen, wie wichtig positive Resultate sind, um Mitstreiter zu gewinnen. Doch, wie sich ein halbes Jahr später zeigen wird, ist unsere Freude verfrüht. Weder wird unserem Verein ein Platz im Bildungszentrum zugestanden werden, noch wird später das Tor verfügbar sein. Wie man mit dem Klubraum in Zukunft umzugehen gedenkt, wird bis heute nicht eindeutig beantwortet. Ablehnend steht die Landrätin vor allem der Erinnerungstafel gegenüber – mit einer Begründung, die wir später widerlegen können:

„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Anbringung einer individuellen Gedenktafel am Mehrzweckgebäude des Jugendzeltplatzes nicht möglich ist, da die Dokumentation nach Abschluss sämtlicher Baumaßnahmen gemäß der Richtlinie zur Kennzeichnung von Bau- und Bodendenkmalen (Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 24. März 2009) zu erfolgen hat.“

Auch der Gedenkstättenverein „Politische Memoriale“ lehnt die Tafel ab. Allerdings: War sie der Landrätin zu individuell, so ist sie diesem Verein nicht individuell genug. Angesichts der Vermarktung des Ortes als KdF-Bad, den Tilgungen der DDR-Realien und unserem schwierigen Kampf an allen Fronten, ist die Begründung zynisch:

„…wenn es einen Ort der Information über die Bausoldaten im Block V geben wird, erscheint mir eine Gedenktafel überflüssig. Ich verstehe Ihre Motivation, möglichst schnell den Ort mit einer Gedenktafel zu markieren. Ich fürchte jedoch, dass die Mehrzahl der jungen BesucherInnen an diesem Ort achtlos vorbeigehen wird. Vielleicht nehmen Sie sich noch einmal Zeit, um mit Künstlerinnen gemeinsam nachzudenken, was für ein Erinnerungszeichen den vielen unterschiedlichen und kreativen Persönlichkeiten unter den Bausoldaten eher entspricht und auch mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als eine viel zu schnell übersehene Gedenktafel. Gerade künstlerische Formen stoßen viel mehr zum nachdenken an – gerade das beabsichtigen wir mit unserer Erinnerungsarbeit“.

Wir fühlen uns verhöhnt. Man bedenke, dass das Bildungszentrum frühestens in drei Jahren zustande kommen wird, vorausgesetzt die Finanzierung steht. Ist es angesichts der bisherigen Untätigkeit nicht auch anmaßend, uns Vorschriften machen zu wollen, in welcher Form wir vor Ort erinnern sollten? Am 20. Februar äußern wir schriftlich die Vermutung, man fürchte sich vor einem zu starken Gedenkstätten-Aspekt auf dem Jugendgelände Prora.
Für jenen Ort, an dem beim Gelöbnis auf den SED-Staat nach mehrfachen Widersetzen kaum ein vernehmliches Wort über die Lippen ging, bestehen wir auf „deutliche Worte“ zur Geschichte anstelle eines beliebig interpretierbaren Kunstwerks. Zugleich plädieren wir noch einmal für eine plurale Trägerschaft des geplanten Bildungszentrums: 

„Denk-MAL-Prora e.v. hält die Ausschreibung für einen Träger des Bildungszentrums für problematisch. Es erscheint uns am sinnvollsten, dass die drei Vereine ihre jeweilige Kompetenz bündeln und dieses Werk gemeinsam angehen. Unsere Vorstellungen dazu haben wir in der Stellungnahme zum Workshop erörtert. Wir haben inzwischen Kontakt mit den anderen vor Ort aktiven Initiativen aufgenommen. Auch könnte unser Verein über die inzwischen von allen Institutionen aufgegriffene DDR-Thematik vermittelnd wirken.“

Obgleich man sich vor dem öffentlichen Sichtbarmachen der realen Geschichte scheut, zeigen wir uns hoffnungsfroh, nun endlich mit den Verantwortlichen auf dem Gelände zusammentreffen zu können, „um die gegenseitigen Ziele und Vorstellungen erörtern zu können“. Entsprochen hätte das dem Postulat von Jochen Schmidt, parallel zur Erarbeitung des Ausschreibungstextes Gespräche mit den Erinnerungsinitiativen vor Ort zu führen, „um das Verfahren transparent zu kommunizieren“. Es wäre auch meinen seit 2006 erhobenen Forderungen entgegen gekommen, endlich vor Ort konkret zeigen und erklären zu können, worum es im künftigen Bildungszentrum am Ort meines besetzten Klubraumes gehen sollte…


 

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